21.01.2010
Die Summe der Öffnungen // Süddeutsche Zeitung
Die Summe der Öffnungen // Süddeutsche Zeitung
Körper wie Steinschläge
Süddeutsche Zeitung, 21. Januar 2010 // Autor: Astrid Kaminski
Konjetzkys ¸¸Die Summe der Öffnungen” in der Muffathalle. Als würde man Gott oder einem stell- vertretenden Genius bei der Erschaffung eines Lebensraums zuschauen – dieser Eindruck entsteht in Anna Konjetzkys just in der Muffathalle uraufgeführtem Tanzstück “Die Summe der Öffnungen”. Im Zentrum des winkelförmig angeordneten Publikums steht eine aus grau beschichteten Quadern aufgetürmte Felslandschaft, die kurz an das Berliner Stelenfeld, bald aber eher an eine abstrahierte archaische Bergformation erinnert. Diese Bühnenraumskulptur von Anton Lukas wird für die fünf Tänzer zum Auslöser von Bewegung. In schnellen Wechseln lassen sie sich von ihren rhythmisierten Formationen und taktilen Informationen leiten. Dabei entstehen Bewegungsbilder die gleichermaßen abstrakt und unbeseelt wie emotional und sinnlich wirken. Die Tänzer klettern wie die Gemsen, krabbeln mit tief gesenktem Körper wie Kakerlaken, verschanzen sich wie Menschen-Clans im Gebirge. Dann wieder fallen Körper wie Steinschläge oder begegnen einander in der Andeutung eines rohen Liebesakts. Sie lassen virtuos dramatische Bilder entstehen, aus denen Mythen erwachsen könnten. Rhythmen werden umgeschichtet, in andere Bewegungsabläufe übergeleitet, schließlich zu einem Regelwerk, das nach Deutung verlangt, ohne sie vorzugeben. Der Zuschauer bekommt eine Ahnung von den ordnenden Urkräften, die aus einem ungerichteten Bewegungspotential verstandes- oder intuitiv gesteuerte Tätigkeiten werden lassen. Verstärkt wird dieser archaische Ein-druck durch Laura Konjetzkys Musik, die am Klavier obertonintensive Flageolett-Klänge minimalistisch aufgenommen hat. In einer klug zwischen Suggestion und Klangentfaltung gehaltenen Dynamik sind die Klänge Echo, Impuls und ätherische Naturstimmung. Ebenso konsequent durchkomponiert wie das Bühnengeschehen, spiegeln sie dieses kongenial und halten es in der Schwebe.
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