Anna Konjetzky & Co

Tanz Jahrbuch 2011

Tanz Jahrbuch 2011

Die Hoffnungsträger

Anna Konjetzky

Tanz Jahrbuch 2011 // Autor: Klaus Kieser

Gegen Ende des Stücks nähert sich der Cellist der barbusigen Tänzerin, bespielt nun ihren Körper, wie er es zuvor mit seinem Instrument getan hat: zärtlich, energisch, demutsvoll. Dieses Bild ist voll Erotik und sublimer tänzerischer Strenge. Anna Konjetzky hat es ersonnen und lässt mit ihm ihr Stück «Tagebuch – si un jour tu décides de partir» aus dem Jahr 2008 ausklingen.

Starke Bilder sind die Spezialität der 1980 in München geborenen Choreografin und Künstlerin, die beharrlich an der Grenze zwischen Tanz und bildender Kunst arbeitet. Vielleicht hat sie sich von Wanda Golonka beeinflussen lassen, der sie zwischen 2005 und 2008 in Frankfurt als Assistentin zur Hand ging.

Danach startete Anna Konjetzky durch, entwarf in rascher Folge Tanzstücke – ihr Solo «Elephantengedächtnis» gewann 2009 den ersten Preis beim Leipziger Solotanz-Wettbewerb – und immer wieder Installationen, wie „Don’t touch“(2008) oder (Abdrücke“ (2010). Man muss nicht alles, was Anna Konjetzky kreiert hat, mögen, doch man kann nicht umhin, ihr eins zu attestieren: dass sie eine große gestalterische Kraft besitzt. Die jede ihrer Produktionen zusammenhält. Da blitzt immer auch etwas von der verstörenden Bewegungsfantasie einer Meg Stuart auf, von manisch anmutenender Fixiertheit auf nervöse Tics oder krude Bewegungsmuster.

Dass Anna Konjetzky in den nächsten Jahren weiterhin von sich reden macht, davon kann man ausgehen – Unterstützungen wie zuletzt ein Arbeitsstipendium der Landeshauptstadt München sind da hilfreiche Förderung und Anerkennung. Und sie zeigt vielen anderen Choreographen, die kaum aus ihrem heimischen Umfeld herauskommen, dass auch sperriger Tanz ein weltweites Publikum hat: Werke von ihr sind in diesem Herbst unter anderem in Daressalam (Tansania) und Kampala (Uganda) zu sehen.

Portrait

Portrait

© Goethe-Institut // Autor: Susanne Traub

Die Choreografin Anna Konjetzky beschreitet seit Jahren kompromisslos einen Weg der künstlerischen Recherche. Mit unstillbarer Neugierde erkundet sie Raumanordnungen, Bühnenräume und die komplexen Wechselwirkungen von Körper, Raum und deren Wahrnehmung. Der sinnlichen Aufladung von Räumen kommt in ihren Arbeiten eine zentrale Rolle zu, die bis zur Auflösung des klassischen Bühnenraums in Installationsräume oder Guckkastenobjekte führt, die von allen Seiten oder nur durch Luken einsehbar sind, wie in ihren jüngsten Arbeiten „Abdrücke“ oder „Fern“. Mit Film- und Videoarbeiten greift sie in die Performance ein und schafft damit neue Öffnungen, die ein anderes Licht auf den Körper werfen, ihn in Situationen außerhalb der Performance zeigen oder ihm in close-ups auf die Pelle rücken. Inhaltlich baut die Choreografin auf die Ausdruckskraft und die Narration von Körperzuständen. Anna Konjetzky sucht mit ihren Darstellern nach den Antworten, die der Körper in veränderten Situationen und Zuständen gibt. Unerkennbar kein können diese Bewegungen sein, ein inneres und äußeres Zittern wie in „dann still“, ein fließendes virtuoses Auf und Ab wie in „Die Summe aller Öffnungen“, ein Stillstehen oder Verzerrungen des Körpers. Der Körper und seine Identität als Speicher von Erfahrung bestimmen wie Herzschlag Konjetzkys Stücke. Durch die konsequente Weiterentwicklung des eigenen Mediums und der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten entstehen Affinitäten zur bildenden Kunst. „Abdrücke“ z.B. lässtdurch Tanz, Video und Zeichnungen eine Reibungsfläche zwischen dem geometrischen, anonymen Raum und der weichen und formbaren Intimität des Körpers entstehen. Eine Tänzerin ist in einem verspiegelten Glaskasten eingeschlossen und versucht durch Bewegung und Zeichnungen sich in ihrer Abkapselung zu erfassen. Für den Zuschauer ist der verspiegelte Kubus einsehbar und eröffnet einen vielschichtigen Wahrnehmungs- und Erfahrungsraum.

Furiose Bilderwucht Anna Konjetzkys Tanz lotet immer neue Grenzen aus

Furiose Bilderwucht Anna Konjetzkys Tanz lotet immer neue Grenzen aus

Georg Tabori Preis 2013

Der Tagesspiegel, Sonderbeilage Georg Tabori Preis 2013
Mittwoch 8. Mai 2013 / 69.Jahrgang / Nr.21 682 // Autor Patrick Wildermann (PAW)

„Als würde man Gott oder einem stellvertretenden Genius bei der Erschaffung eines Lebensraums zuschauen“ – diesen euphorischen Erweckungseindruck nahm eine Kritikerin aus dem Tanzstück „Die Summe der Öffnungen“ (2010) der jungen Tänzerin und Choreografin Anna Konjetzky mit. Die Arbeiten der Münchnerin, die in Brüssel ausgebildet wurde und bis 2008 Assistentin von Wanda Golonka am Schauspiel Frankfurt war, polarisieren und faszinieren gleichermaßen.

Ihrer überwältigenden Körperkraft jedenfalls kann sich kaum jemand entziehen.

Die Künstlerin bestürmt in ihren Solo- und Ensemblewerken mit Bilderwucht. Etwa wenn im Stück „Tagebuch – si un jour tu décides de partir“ ein Cellist den entblößten Leib einer Tänzerin bespielt wie zuvor sein Instrument. Wenn in „Die Summe der Öffnungen“ die Tänzer auf einer raumgreifenden Quadar-Skulptur von Anton Lukas ein archaisches Gewordensein performen.

Wenn schließlich in „Abdrücke/Abdrücke folgen“ eine Tänzerin im inneren eines verspiegelten Kubus einsam zeichnet – blind gegenüber dem Außen, während die Zuschauer Einblick haben. Fast immer schafft die Musik dazu eine zweite, drängend, pulsierende Ebene.

Nicht selten greift Konjetzky auch mit Film- oder Videoprojektionen ein, die ein anderes Licht auf den Körper werfen, ihn reflektieren, in den Close-up rücken. Oder sie hinterfragen das Wesen der bodyart, wie in ihrem furiosen Stück „Elephantengedächtnis“, das in Leipzig 2009 den Solotanzwettbewerb gewann – indem sie den Körper zur Maschiene ausbaut.

Ihre Arbeiten sind Grenzerkundungen, in jeder Hinsicht. Der 1980 geborenen Konjetzky, die längst weltweit tourt, gelingt es immer wieder, die Schnittstelle zwischen Tanz und Bildender Kunst zu weiten. Ihre jüngste Inszeniereung „und weil er sich dreht, kehrt der Wind zurück! Begeistert einmal mehr als begehbare Installation. Hinter einer Absperrung wartet das Publikum auf den Einlass in ein imaginäres Jerusalem. Eine hautnahe Erfahrung steht bevor, die das Medium Tanz auf der Höhe der Zeit und der Kunst zeigt.

PAW

DAS WERK DER CHOREOGRAFIN ANNA KONJETZKY BREATHING

DAS WERK DER CHOREOGRAFIN ANNA KONJETZKY BREATHING

© Franz Kimmel

Die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Münchner Choreografin Anna Konjetzky inszeniert seit 2005 Tanzstücke und -installationen und hat sich als „Architektin des Raums“ einen Namen gemacht.

Anna Konjetzky | © Anna Konjetzky

Inspiriert durch Sinn für Raum und Zeitverlauf scheinen ihre Stücke den Körper und die räumliche Anordnung immer neu zu hinterfragen, wobei es gleichzeitig gelingt, im Rahmen der Choreografie Intimität zu schaffen. Mit bildhaften Andeutungen erweitert sie ihre Anfragen an das Räumliche und, wie ihrer Webseite zu entnehmen ist, kann sie „den Blick durch den Körper auf die Welt lenken. Möglichkeiten denken. Risiken nehmen. Zerbrechlichkeit suchen“.

Wie viele zeitgenössische Choreografinnen zeigt Konjetzky den gravierenden Einfluss veränderter Raum-, Licht- und Klangverhältnisse auf die Wahrnehmung. Sie gibt dem Publikum nie vor, was es denken soll, zeigt ihm aber, wo es hinschauen soll. In einem Stück wie Lighting (2014) lenkt sie den Blick des Betrachters auf ihre zehn Tänzerinnen und Tänzer. Auf der leeren Bühne pulsieren die Körper dicht gedrängt in einer Intensität, die der unbändigen Kraft von Massenprotesten und Demonstrationen nachspürt, gleichzeitig aber auch den Momenten, in denen diese in unkontrollierbare Spannung und Gewalt umschlägt. Konjetzky spricht über diese leichte Entzündlichkeit: „Wenn ich etwas anzünde, liegt die Handlung nicht mehr in meiner Hand, vielmehr kreiert das ‚brennende‘ Objekt nun seinen eigenen Ablauf, der sich meiner Kontrolle völlig entzieht“

BREATHING

Der verstorbene kanadische Choreograf Jean-Pierre Perreault bemerkte einmal, dass „Menschen für zwei Dinge ein Gespür haben: für andere Menschen und für den Raum, der sie umgibt und durchdringt”. Wenn Konjetzky mit Raum und Bewegung spielt, nutzt sie den Raum nicht einfach nur, sondern geht auf den Raum ein, in dem das Stück stattfindet. Sie spricht über ihre „ständige Erforschung des Körpers im Verhältnis zum Raum und zur Architektur sowie die Erforschung der Wahrnehmung“.

Zu ihrem Projekt Breathing (2017) bemerkt Konjetzky in Interviews: „Mich interessiert das Atmen als grundlegender Vorgang, der alle Menschen verbindet. Ich interessiere mich für den höchst intimen Aspekt daran. Ich interessiere mich für die transzendentale Erfahrung des tiefen Atmens. Ich interessiere mich für die beiden großen Emotionen oder Zustände, die das Atmen ins Äußerste bringen: Leidenschaft und Angst“. Dieser Insistenz folgend lenkt breathing unsere Aufmerksamkeit auf diese oft vernachlässigte Grenzerfahrungen. Das Stück wirft Fragen zum Wesen eines so gewöhnlichen, bisweilen jedoch auch rätselhaften Vorgangs auf, bis hin zum Potential von physischer und mentaler Stärke und Ausdauer. Konjetzky erzwingt den Dialog über die Erkundung des Grates zwischen dem Absehbaren und dem Unerwarteten.

Dem Werk von Konjetzky wohnt ein neu entwickelter Sinn für communitas inne, eine Neuorientierung hin zur Gruppendynamik und zum gemeinsamen Wollen, zu Menschen, die gemeinsam auf die Reise gehen. Ihr kluges Bewusstsein und Verständnis der lebendigen Architektur verändert die Erfahrung des Tanzes von Grund auf: im Vordergrund steht der Einzelne auf dem Weg der Veränderung, ergänzt durch die Betrachtung und das kinästhetische Einfühlen in den Darsteller, der diesen Prozess durchläuft, und in diese Augenblicke der Transzendenz.

Der innovative, experimentelle Tanz der Choreografin ist Teil einer Kunstbewegung, die das Konzeptionelle und die Bedeutsamkeit von Ideen in den Vordergrund stellt. Susanne Traub beschreibt dies mit folgenden Worten: „Ein wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit ist, dass sie Sinneswahrnehmungen aktiv den Raum einbringt. Daher verlässt sie den klassischen Bühnenraum, um sich Installationsräumen zuzuwenden“.

DER TEILNEHMER IST NIEMALS NUR UNBEFANGENER ZUSCHAUER

Konjetzky kreiert Umfelder für ihre Darsteller. Für den Zuschauer ist die Konfrontation mit Räumen außerhalb der traditionellen Bühne eng mit einer neuen Erfahrungsdimension verbunden, in der der Betrachter seine Wahrnehmung neu ausrichtet, das Maß an Kontrolle austariert, wie auch die Bewusstseinszone und die Bereitschaft, derer es bedarf, diesen Weg zu mitzugehen.

Die Aussagekraft von Konjetskys Darstellungen erwächst einem Können, das um die Herausforderungen und Zwänge weiß, die mit dem Aufbruch auf eine Reise verbunden sind, und ein neues Verständnis dafür erschließt, wie die Erfahrungen und das Tun der Tänzer und der Choreografin, und letztlich auch des Zuschauers, einen verborgenen Sinn vermitteln – durch konzeptionelle Veränderungen im emotionalen Ausdruck, in der visuellen Wahrnehmung und in der physischen Verkörperung.

In seinem Artikel „Some Speculative Hypotheses About the Nature and Perception of Dance and Choreography“ schreibt Ivar G. Hagendoorn, dass die Zuschauer „gleichsam mittanzen“ und oft eine deutlich veränderte Wahrnehmung erleben, wenn sie angespannt oder angestrengt zuschauen. Aus der Perspektive des Betrachters können die Zuschauer beispielsweise die Kraft und die Anstrengungen des Tanzes aufnehmen, gleichzeitig begreifen oder erkennen sie praktisch unweigerlich auch etwas über ihre eigene Interpretation des Tanzstücks.

Als wesentliches Element ihrer Installationen entwickelt Konjetzky bei der Gestaltung des architektonischen Rahmens eine ganz individuelle Rolle für den Besucher des Raums, vor allem dessen Einbindung in das Geschehen, das sich vor ihm abspielt. Der Teilnehmer ist niemals nur unbefangener Zuschauer. Im Stück Abdrücke (2015) hören die Zuschauer Atemgeräusche, sehen eine Figur in einen reflektierenden, durchsichtigen, schmucklosen Glaskubus eingeschlossen, wobei sich die Intimität bzw. Klaustrophobie des Raums verstärkt. Beim Betrachten der Darstellerin entsteht ein Gefühl der persönlichen Identifikation mit der Person, die dort eingezwängt in vornübergebeugter Haltung etwas auf ein Blatt Papier kritzelt. Der Betrachter kann sich der voyeuristischen Vorstellung hingeben, dass die Inszenierung nur für ihn allein stattfinde. Die Versunkenheit des Tanzes steht hier in enger Verbindung mit der eigenen Wahrnehmung des Dargestellten – was sowohl für die Tänzerin als auch den Zuschauer desorientierend sein kann, aber auch etwas bewegen und verändern kann.

In Konjetzkys Stücken geht es stets um unser Verhältnis zum Raum. Sie beobachtet, wie wir leben und wie wir unser Leben ordnen. In Chipping (2014) beleuchtet sie die Bewegungsmöglichkeiten von Körpern im Raum – durch die Erkundung eines Raums, der in Bewegung zu sein scheint. Die Gestaltungselemente des Stücks sind mehrere bewegliche Holzkuben und Kisten mit Antrieben, Flaschenzügen und Kabeln, die sich mal langsam verschieben und mal schneller, dynamischer bewegen.

Im Zentrum all dieser Bewegung und Immensität befindet sich sofort erkennbar der Körper eines verhüllten Tänzers, der seinen Weg durch diese als beschwerlich dargestellte Umgebung finden muss. In seiner Rezension unter tanecniaktuality.cz beschreibt Ian Biscoe die Bühnenhandlung näher: „Der Körper muss sich beständig neuen Gegebenheiten anpassen und sich in einem schwankenden Raum seinen Weg suchen: jeder Schritt ein neuer Balanceakt, jede Bewegung immer neu gedacht, neu austariert und jeder Weg neu gefunden. Selbst der passive Körper kann auf dieser Bühne nicht ruhen: der bewegte Raum treibt ihn an, deformiert und verschlingt ihn.“

Konjetzky bemerkt zu den Kräften, die in Chipping wirken, folgendes: „Rastlosigkeit ist für mich als Bewegungsforschung sehr spannend. Aber auch in der Gesellschaft scheint alles immer schneller zu werden: Informationsüberflutung, ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, scheinbar grenzenlose Entscheidungsfreiheit und das Diktum permanenter Leistungsfähigkeit sind ein gesellschaftlicher Raum, der uns beständig zu Schritten zwingt – oder sie ermöglicht.“

Konjetzky choreografiert mit einer kompromisslosen Ehrlichkeit, die ihre persönlichen Sichtweisen ausdrückt, wobei Grunderfahrungen des menschlichen Lebens den Kern ihrer Arbeit bilden. Die Choreografin betont in allen ihren Stücken die Bedeutsamkeit des Einzelnen auf dem Weg der Veränderung, ebenso wie die wechselseitige Beziehung und kinästhetische Empathie zwischen Zuschauern und Darstellern, was zum gemeinsamen Erleben eines transzendentalen Augenblicks führt.

Die Summe der Öffnungen // Abendzeitung

Die Summe der Öffnungen // Abendzeitung

Muffathalle: “Die Summe der Öffnungen”

Abendzeitung, 20. Januar 2010

Es ist ein etwas verquerter Ansatz, den die Münchner Choreographin für ihr Stück „Die Summe der Öffnungen“ gewählt hat. Nicht die Tänzer füllen einen Raum, sondern die Tänzer müssen sich auf einer bereits besetzten Bühne ihren Raum schaffen. Die zwei Tänzerinnen stecken unter einer Decke. Wortwörtlich: Ein einziges schwarzes Tuch umhüllt ihre Köpfe. So aneinander gebunden erklimmen sie den Berg, der auf der Bühne in der Muffathalle steht. Mal mit spitzen Zehen voran, mit den Finger hakelnd, sich gegenseitig an den Schultern und Hüften stützend. Es ist ein etwas verquerter Ansatz, den die Münchner Choreographin für ihr Stück „Die Summe der Öffnungen“ gewählt hat. Nicht die Tänzer füllen einen Raum, sondern die Tänzer müssen sich auf einer bereits besetzten Bühne ihren Raum schaffen. Und das mit jedem Gelenk. Oft robben die Tänzer über die aufgetürmten Holzblöcke, biegen ihre Wirbelsäule durch, die Arme schlaff an den Seiten hängend, die Füße unbeweglich verdreht. Besonders intensiv gelingt das Katrin Schafitel, die mit einem fast völlig steifen Körper den Gipfel erklimmt, das Kinn als einzige Stütze. Dann wieder springen Schafitel und ihre Kollegen auf, rasen über den Berg wie die Affen von Gibraltar. Während sie sich ihren Lebensraum auf der Bühne schaffen, beginnen Konkurrenzkämpfe untereinander, die besonders von sexueller Begierde beflügelt werden. Videoprojektionen verdeutlichen, dass Sonne, Eis, Wind und Regen den Berg verändern – und damit die Bewegungen der Tänzer.Nach der Hälfte des Stücks verschwinden diese immer häufiger in Zwischenräumen der Blöcke, als ob Schluchten sie verschlucken. Am Ende balancieren sie nur noch auf einen Bein – ein dünner Grat, ist alles, dass ihnen geblieben ist.

Weitere Artikel

Keine Ergebnisse gefunden

Die angefragte Seite konnte nicht gefunden werden. Verfeinern Sie Ihre Suche oder verwenden Sie die Navigation oben, um den Beitrag zu finden.

Abdrücke / Abdrücke folgen // Mittelbayerische Zeitung

Abdrücke / Abdrücke folgen // Mittelbayerische Zeitung

Versehrte Körper und erschöpfte Seelen

Mittelbayerische Zeitung, 11. November 2010 // Autor: Michael Scheiner

Die „Publikumslieblinge“ der Regensburger Tanztage zeigten ein beeindruckend breites Spektrum.
VON MICHAEL SCHEINER, MZ.

REGENSBURG. Am Ende sitzt die Tänzerin reglos, erschöpft in einer Ecke ihres gläsernen Käfigs. Die Scheiben von innen dick beschlagen durch ausgeatmetes, besser: ausgehecheltes, gekeuchtes Kohlendioxid. Eine innen installierte Kamera überträgt ihr in Schatten getauchtes Bild auf die rückwärtige Wand im Theater in der Alten Mälzerei, ein Mikrofon die Atemgeräusche. Ein wenig erinnert der Glaskubus an Damian Hirsts riesige Aquarien, in denen tote Tiere in Formalin schwimmen. „Abdrücke“ nennt die hochgelobte Münchner Choreografin Anna Konjetzky diese Tanz-Video-Installation, beeindruckend getanzt von Sahra Huby. Eine zweite, kürzere Performance stellte das Duo mit „Elefantengedächtnis“ im ersten Teil des Abends unter dem Titel „Tanzszene Bayern – Publikumslieblinge“ vor. Konjetzkys Tanzbilder bleiben im Gedächtnis. Für „Elefantengedächtnis“ hat sie bei der „euro-scene“ 2009 in Leipzig den 1. Preis für das „beste deutsche Tanzsolo“ erhalten. Anfänglich eher absonderlich, wirkt der stolpernde, stürzende, durch kurze und längere Holzstöcke prothesenartig verlängerte Körper (der Tänzerin) behindert, versehrt, beschädigt. In Kniekehlen, Armbeugen und unters Kinn gebohrt, sind die Stöcke Stütze und Erweiterung der Gliedmaßen und zugleich – mangelhafter – Ersatz und Brandzeichen des Ausgestoßenen, des Verfalls und eines bohrenden Schmerzes, der allerdings auch in ein – befreites? verzweifeltes? – Lachen übergehen kann. Keinen Deut weniger ausdrucksvoll: Huby als suchende Frau im gedeckelten Glaskasten, wo sie immer hektischer und manischer ihre Umrisse zeichnet, kritzelt, ins Papier presst. Es ist ein zunehmend verzweifelteres Anrennen gegen das sich auflösende Spiegelbild, ein seelenwundes Bemühen, sich selbst zu erschaffen und zu fassen. Ein vergebliches Bemühen, Sisyphos nicht unähnlich, diesem aber durchs Scheitern überlegen.

>> zum Artikel

Weitere Artikel

Keine Ergebnisse gefunden

Die angefragte Seite konnte nicht gefunden werden. Verfeinern Sie Ihre Suche oder verwenden Sie die Navigation oben, um den Beitrag zu finden.