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Elf Tänzerinnen und Tänzer [Namen s.u.] durften endlich wieder zeigen, was sie drauf haben. Ihre Partner: ein tiefer, grauer Raum (Andrey von Schlippe), Licht und Schatten. Es trägt sie eine starke Basis, die eindrucksvolle Soundcollage aus Geräuschen einer Großstadt von Sergej Maingardt.
Alles beginnt mit Soundschleifen, die aus einer Fußgängerzone stammen könnten, einem Bahnhofsvorplatz, einer U-Bahn-Haltestelle. Alltag in town. Die Menschen, in grau, beige und braun, sind bis auf ein paar Farbtupfer in „gedeckten“ Tönen gewandet (Kostüme: Charlotte Pistorius) und scheinen gelangweilt zu warten. Jede und jeder für sich. Tonfetzen setzen sie in Bewegung, abrupte Stille friert sie ein. Die Szene nimmt Fahrt auf und erinnert an das alte Kinderspiel: stoppte die Musik, durfte man sich nicht mehr rühren. Das sah damals komisch aus. Die Kinder lachten.
Dieses erwachsene Tanzspiel jedoch hat nichts Fröhliches. Die Menschen verharren oft in Schreckstarre, irgendwoher atmet es schwer. Aus dem Geräuschteppich steigt immer wieder ein pulsierender Rhythmus auf. Die Moves schalten sich gleich, die Schatten der Tänzer spielen mit. Verleitet diese akustische Umgebung zu Uniformität? Auf jeden Fall funktionieren die Menschen wie Rädchen in einem Getriebe. Zwar lösen sich einzelne Tänzer*innen hin und wieder aus der Gruppe, nehmen sich Freiräume, ihre Schritte sind dann unnatürlich laut, sie schlenkern mit den Armen, doch bald schon zucken und zittern sie aufs Neue zum Beat der Stadt: Baulärm? Eine Stadtbahn? Bremsen? Sirenen? Alles geht wild durcheinander, im Großstadtdschungel brüllen Löwen, heulen Hunde, Paarungen sind flüchtig und zufällig.
Je höher der Geräuschpegel steigt, umso mehr verdichten sich Aggressionen, Angst und Erschöpfung. Dazu verengt sich der Bühnenraum. Er verliert immer mehr an Tiefe. Am Ende stehen alle Figuren aufgereiht wie auf einer schmalen Rampe. Kein Platz mehr. Der Tanz ist zu Ende. Stille. Aber dann lauter, verdienter Beifall.
Anna Konjetzkys vielfach ausgezeichnete Arbeiten werden national und international gezeigt. Sie kreiert auch Stücke für etablierte Tanzcompagnien und realisiert ihre eigenen Stücke seit 2014 in Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen. Seit 2019 agiert sie als Anna Konjetzky&Co. Mit einem festen Team hat sie in München den PLAYGROUND gegründet, einen Ort, an dem Tänzer*innen ihr Wissen erweitern können.
Einmal mehr war ihr mit We are here, einer Produktion des Saarländischen Staatsballets von vor zwei Jahren, ein sehr starkes Stück gelungen.
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Schluss mit klein, dachte sich Anna Konjetzky. Die Tänzer der freien Szene müssen endlich wieder raus ins Rampenlicht und dabei ihre Energien bündeln.
Nach unzähligen Absagen und Projektverschiebungen im Zuge der Covid-19-Krise und ihrem emotionalen Lass-alles-Aufgestaute-an-Gefühlen-raus-Soloprojekt „Über die Wut“ entschloss sich die weit überregional erfolgreiche Münchner Choreografin zu einem Experiment, das in seiner Umkehrung jenem vergleichbar ist, mit dem das Ballett des Gärtnerplatztheaters die 30. Tanzwerkstatt Europa eröffnet: neue, anders „tickende“ Körper toben sich in unter gänzlich anderen Bedingungen entstandenen Stücken aus.
Newcomer und erfahrene Joker wickeln Zuschauer um den Finger
Nur dem Zufall ist dieses kongeniale Zusammentreffen zu verdanken. Man kann nur empfehlen, das auch auszukosten. Schon in der Generalprobe von „We are here“ wickeln junge Newcomer wie João Santiago und Oliver Pertiglieri mitsamt starken Frauen (Aurora Bonetti, Eleonore Bovet, Erica D’Amico, Chiara Viscido) und flankiert von immer guten erfahrenen Jokern à la Guido Badalamenti, David Cahier, Sahra Huby, Quindell Orton oder Alfonsos Fernández Sánchez den Zuschauer locker um den Finger. Jeder hier hat Unikatcharakter. Und das in einer Freakshow von alltagsgelangweilten Typen, die innerhalb eines neutral-grauen Raums diversen akustischen – mal angenehmen, meist aber stressig-bedrohlichen – Szenarien ausgesetzt werden.
Konjetzkys Wahl fiel auf ihr gerade wieder rechtefreies Stück, das sie im Mai 2019 mit dem Saarländischen Staatsballett uraufgeführt hatte. Nun verantworten, nach Monaten der Unsichtbarkeit, elf lokale Performer die Premiere der Münchner Neueinstudierung. Die Kostüme mitsamt dem unmerklich raffiniert den Platz stetig verkleinernden Original-Bühnenset bekam man geliehen. Das verpasst dieser Produktion den vereinnahmend professionellen Look. Zur Ruhe kommt man beim Zusehen allerdings nicht.
Ständig prallen Klangideen (Sergej Maingardt, mit unzähligen Effekten von lauten Pingpongbällen bis zu Raubtiergebrüll) und Bewegungsmuster gegeneinander. Nach gut 50 Minuten persönlicher Assoziationsausbeutung bekommt man dann fast alles nochmals per weich gesoftetem Schnelldurchlauf vorgespielt. Auch das musikalische Universum rauscht einem zeitlich eingedampft zum Schluss ein weiteres Mal laut um die Ohren. Top ausgeklügelt, dieser herausfordernd-fiese Spaß!
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The solo, danced by the fabulous freelance dancer Sahra Huby, was spellbinding. Huby’s register of anger spanned cartoon-like movements, repressed anger that distorted the body, anger that welled up from her toes and tried to escape through her mouth, aggressive typically masculine gestures and much more. Scenes of violent demonstrations, such as those for Black Lives Matter, and of refugees trying to climb the wall between Mexico and the United States, were projected upstage on white banners because, as Konjetzky explained in her artist talk, we are living in a world of anger.
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Sahra Huby, die als kongeniale Protagonistin in Anna Konjetzkys „Über die Wut“ dem einst so herrlich explodierenden HB-Männchen das Wasser abgräbt, wird im situativen Darstellen der unkontrollierbaren Emotion irgendwann auch laut und schrill, wie das sie zeitweise begleitende Wort- und Bildergewitter. In Bruchteilen von Sekunden tut sich auf diese Weise Angst, Leid oder Verzweiflung kund.e freien Lauf lässt.
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Audre Lorde, Greta Thunberg, Alexandria Ocasio-Cortez, Simone de Beauvoir, Clara Zetkin, Laurie Penny, Sarah Ahmed, Angela Davis, Medea, Margarete Stokowski, Rosa Parks und Jeanne d´Arc – sie alle sind mit im Raum, wenn Sahra Huby ihrer Wut auf der Bühne freien Lauf lässt. Ihre Reden schweben über allem, als Wolke aus Papier, auf die ein sprechender Mund projiziert ist. „How dare you?“ fragt die Stimme von Greta Thunberg.
„Über die Wut“ ist eine Hommage und ein Aufruf. Eine Ermutigung und eine Forderung, wütend zu sein und noch wütender zu werden – besonders als Frau. Anna Konjetzkys Tanzinstallation hat ihre Uraufführung beim DANCE Festival in München in den Kammerspielen und zeigt, dass es okay ist, wütend zu sein. Es ist ein Soloabend mit der Tänzerin Sahra Huby, die mit ihrem Körper und ihrer Stimme ihrem Zorn Formen und Formulierungen gibt. Aber sie drückt nicht nur ihre eigene Wut aus, die sich lange angestaut zu haben scheint, sondern die von vielen Frauen auf der ganzen Welt, nicht nur heute, sondern über Jahrzehnte hinweg.
Sie spannt die Muskeln an, verzerrt ihr Gesicht, fletscht die Zähne und reißt die Augen auf. Sie schnauft und keucht, schlägt um sich und verpasst der Luft einen Kinnhaken. Immer wieder spielt sie mit Bewegungen, die in unserer Gesellschaft männlich konnotiert sind: mit den Fäusten auf die Brust schlagen oder mit dem Bizeps angeben. Auch wenn alles ein wenig überzogen ist, ist es keine Karikatur. Sie ahmt keine Männer nach, nein, sie kann das genauso wie sie. Sie ist genauso stark und kann genauso wütend sein. Und sie hat allen Grund dazu. Nachdem sie ihren Körper so über die Bühne geschleudert hat, steht sie am Mikro und erzählt, warum und auf was und wen sie wütend ist. Das hat viel Identifikationspotenzial.
Auf der Bühne hängen weiße Papierstreifen der Länge nach von der Decke auf den Boden. Sie erinnern an Banner oder Transparente und dienen hier als Projektionsfläche. Zwischen ihnen flackert in LED-Buchstaben das Wort WUT. Es werden Demonstrationen gezeigt, wo eben solche Banner und Schilder gehalten werden: Black Lives Matter, Enough is enough, Stop Killing Us! Ansonsten Szenen von Flucht, Waldabholzung, alte weiße Männer in Anzügen, die sich die Hände schütteln, Menschen, die über die Mauer an der Grenze zwischen Mexiko und den USA klettern – es gibt genug Gründe wütend zu sein. Aber warum sind wir es nicht? Diese Frage sollte sich beim Publikum immer wieder stellen.
Unsere Kultur ist voll von wütenden Figuren. Sie werden auf eine Leinwand in einem Bilderrahmen projiziert, der ebenfalls von der Decke hängt. Es ist nur der Körper der Tänzerin zu sehen, ihr Gesicht wird ersetzt durch aggressive Comicfiguren oder einen schreienden Jack Nicholson und Frances McDormand in „Three Billboards Ouside Ebbing, Missouri“, eine der großartigsten wütenden Frauenfiguren der letzten Jahre. Der Körper von Sahra Huby unter den Bildern verzerrt sich dabei in Posen von Frustration und Rage. Ihre Beine stampfen auf den Boden ein, Fäuste fliegen durch die Luft. Sie tobt buchstäblich vor Wut. All das ist untermalt von der elektronischen Musik von Brendan Dougherty, die über den gesamten Abend hinweg perfekt unterstreicht, was auf der Bühne passiert. Sie ist hektisch und aufgeladen, manchmal elektrisierend. Sie lässt auch das Adrenalin bei den Zuschauenden steigen.
Ja, Wut ist erschöpfend. Das zeigt Sahra Huby auch. Aber was viel wichtiger ist und was zeigt, dass sich all die Energie, die man in seinen Zorn steckt, wirklich lohnt, ist die Befreiung, die danach zu spüren ist. Wenn es egal ist, dass die Gesellschaft von Frauen verlangt, eben nicht wütend zu sein und all die Unterdrückung lächelnd hinzunehmen. Die Tänzerin fliegt am Ende beinahe über die Bühne. Ihre Bewegungen sind fließender, beschwingter und leichter. Nichts ist mehr zu spüren von den verkrampften Muskelanspannungen und Gesichtsverzerrungen vom Anfang. Ihre Haare sind nicht mehr zu einem strengen Zopf gebunden, sondern offen und sie schmeißt ihren Kopf durch die Luft. Sie hat auch ihren Overall abgelegt und ist nun nackt. Ein weiterer Akt der Befreiung und gleichzeitig ein Zeichen der Selbstbestimmung.
Am Ende greift sie nochmal zum Mikro. Sie ist nicht allein, sagt sie. Sie ist hier zusammen mit all den wütenden Frauen der Geschichte. Sie nennt ihre Namen und sie laufen in Dauerschleife, bis sie den Raum völlig ausfüllen. Man ist als Frau nicht allein mit seiner Wut. Und es ist wichtig, wütend zu sein. Welche Kraft dadurch entstehen kann, zeigt Anna Konjektzkys Performance mit voller Wucht. Sie zerstört das Bild der hysterischen und zickigen Frau und setzt an ihre Stelle eine starke, zielgerichtete und zornige. Sie zeigt, dass Wut nichts Männliches ist. Wut war bisher eine Emotion, die nicht mit Frauen in Verbindung gebracht wurde. Das sollte sich ändern. Weibliche Wut ist eine Notwendigkeit, um etwas zu verändern und wir brauchen mehr davon.
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Weiterbildung im Urlaub fordern die einen. Erholung sehen die anderen als Auftankmedizin. Bei Münchens Tanzwerkstatt Europa (TWE) läßt sich beides vereinen. Gerade trainieren Profis wie Laien in Workshops wie zeitgenössischer Tanz, choreographische Komposition … . Anna Konjetzky konnte ihr von afrikanischer Tanztradition durchpulstes “Transkali” uraufführen: Aufgehoben in einem live getrommelten, Trance-schaffenden Klangraum vollziehen vier Tänzerinnen ein Ritual zwischen Geburt und Tod. Mit ihrem Gefühl für Raum und dramaturgische Bögen hat Anna Konjetzky diese Auftrittschance verdient.
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