chipping // Hamburger Abendblatt
Bildstarkes Tanzstück im Lichthof Theater
Hamburger Abendblatt, 10.02.2018 // Author: Annette Stiekele
Anna Konjetzkys Gastspiel „Chipping“ überzeugt als furios performter, vibrierender Überlebenskampf
Hamburg. Fünf unterschiedlich hohe Holzkuben stehen auf der Bühne des Lichthof Theaters. Ein Suchscheinwerfer tastet sie ab. Der schmale Lichtstrahl erwischt auch eine Tänzerin in Jeans und Kapuzenpullover. Sogleich krümmt sie sich zusammen und versucht heftig, ins Dunkel zu entkommen. Eben denkt man noch an einen zugestellten Dachboden, doch schon bald kommen Gedanken an Grenzposten auf. Sehr einfallsreich spielt die Münchner Choreografin Anna Konjetzky in ihrem im Lichthof Theater gastierenden furiosen Tanzsolo „Chipping“ („Absplittern“) mit diesen starken, hier keinesfalls abgenutzten Bildern: mit Grenzposten, Zäunen, Drähten.
Sie findet einen erstaunlich klaren Ausdruck, was vor allem an den präzisen Bewegungen und der perfekten Körperbeherrschung der zuckenden, die Kisten erklimmenden, dann wieder angstvoll zwischen ihnen hin- und herlaufenden Tänzerin Sahra Huby liegt. Aber auch an dem famosen Aufbau. Anna Konjetzky und Anton Lukas haben eine technisch aufwendige Bühne errichtet mit feinen Boden-Drahtseilen, die die Holzkisten sanft und geräuschvoll von links nach rechts ziehen.
Hinzu kommen das ausgefeilte Lichtspiel und die Videos von Timm Burkhardt. Sie tauchen die Bühnenkonstruktion in abstrakte geometrische Formen, dann wieder weiten sie sich zu urbanen Hochhaus-Szenarien. Unterlegt ist das Ganze auch akustisch äußerst effektvoll von der repetitiven industriellen Musik Brendan Doughertys.
Anna Konjetztky, eine international renommierte Choreografin, die 2013 für den Georg-Tabori-Preis nominiert war und seit 2014 mit den Münchner Kammerspielen koproduziert, verschafft dem Lichthof-Programm einen echten Höhepunkt. „Chipping“ wird über die Dauer einer Stunde zum atemlosen Trip, der auf allen Ebenen funktioniert und einen tollen dramaturgischen Bogen spannt. Obwohl eine maschinell anmutende Installation, kommt das Humane, der Tanz, nicht zu kurz.
Man wird nicht müde, Sahra Huby zuzuschauen, wie sie einzelne Körperteile isoliert und mit ihnen roboterartige Bewegungen ausführt. Wie ein gejagtes Tier hetzt sie zwischen den Kisten auf und ab. „Chipping“ ist ein ständiger Überlebenskampf. Pure Vibration. Die Bühne, der Sound, die Videos und die Tänzerin, die auch mal die Holzboxen erklimmt, um an anderer Seite gekonnt herunterzufallen. Irgendwann liegt Sahra Huby auf den Schienen, die Holzkästen schieben sich um sie herum, bewegen ihren Körper, falten ihn zusammen. Da hat sie Federn gelassen, der Atem geht schneller, doch die Erschöpfung lässt sich in ihrem schmalen, entschlossenen Gesicht nur erahnen. Es ist, als würden Fasern der Person absplittern. Eben droht sie noch ganz in der Bühnenkonstruktion zu verschwinden, doch da rappelt sie sich schon wieder auf. Am Ende gibt es verdiente Bravos für einen in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Tanzabend.
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