chipping // Kulturvollzug
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Accesstodance/Kulturvollzug‚ 09.10.2014 // Autor: Isabel Winklbauer
Anna Konjetzkys „Chipping“ eröffnet das Rodeo-Festival: Das neue Stück der Münchner Choreografin fasziniert mit Projektionen auf einer Kubuslandschaft, in der ein Mensch seinen Platz sucht. Im Wesentlichen blickt sie aber hinter die Fassaden des Systems 2.0.
Wenn eine Stadt aus Würfeln, ein Boden, eine Wand und mittendrin eine Mädchengestalt alle dasselbe Muster tragen und im selben Licht leuchten – dann ist das unglaublich schön anzusehen. „Chipping“, das neue Stück der Münchner Choreografin Anna Konjetzky, fasziniert mit Projektionen auf einer Kubuslandschaft, in der ein Mensch außer Atem seinen Platz sucht. Im Wesentlichen blickt die Choreografie aber hinter die Fassaden des Systems 2.0: Die Dynamik und Ästhetik unserer schönen neuen Welt fußt auf völliger Auslaugung des Individuums.
Konjetzkys langjährige Muse Sahra Huby ist die ideale Besetzung für die Tour de Force. Leicht und biegsam, gleichzeitig sportlich und zäh, ist sie jederzeit bereit, sich mit der vom Würfelsystem geforderten Attitüde ins nächste Himmelfahrtskommando zu stürzen. Anfangs steht sie schüchtern im senkrechten Scannerstrahl, zieht die Arme ein und versteckt sich. Doch schon bald durchmisst sie, von dieser merkwürdigen Welt gefangen, den Raum und steckt ihr Revier ab. Sie rennt mit irrer Begeisterung auf der Stelle, und macht mit. Die Arme schlägt sie um sich, alle Glieder suchen wie im ständigen Suchlauf eine neue Frequenz. Hoch auf die Türme!
Als die Sisyphos-Schwester endlich erschlagen niedersinkt, hat sie ihr fragendes Madonnengesicht komplett verloren. Der moderne Mensch kämpft bis zur Auto-Gehirnwäsche. Nicht mal eine Pause ist der Mädchengestalt gegönnt. Die Würfel bewegen sich unaufhörlich und unmerklich, schieben die Protagonistin auch im Schlaf dorthin, wo sie nicht im Weg ist. Das wirkt: Zu neuen Taten erwacht, ist ihr die Choreografie der Umgebung endlich eingetrichtert. Sie springt in roboterhaften Zuckungen, aber synchron, auf’s Dach der Welt – wo der waagrechte Scanner ihr Gesicht nicht mehr erkennt.
Wenn der Mensch sich nicht totrackern will, lässt ihm das System keine Ruhe und keine Wahl, so lange, bis er das Totrackern für die tollste Sache der Welt hält. Die Botschaft in „Chipping“ ist einfach. Eigentlich sogar banal. Spannend wird die Angelegenheit erst dadurch, dass der Zuschauer sie auf körperlicher Ebene vorgeführt bekommt. Rastlosigkeit, das bedeutet körperlichen Raubbau und die Unfähigkeit zu denken. Keinen festen Platz zu haben, ständig fort oder einer Sache hinterher zu hecheln oder über die eigenen Kräfte unsinnige Höhen zu erklettern. Rastlosigkeit macht ein rotes, nervös zuckendes Gesicht und kostet den Schlaf. Sie ist lebensgefährlich.
Entsprechender Respekt gebührt Sahra Huby. Ein einstündiges Solo von so einem Kaliber macht man vermutlich nicht oft im Leben. Konjetzky hält mit „Chipping“ ihren eigenen Maßstab, ihre Protagonistin übertrifft sich diesmal selbst.
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