THE VERY MOMENT // Bayerische Rundfunk Kulturwelt
Dieses Stück lässt den Blick durch den Körper auf die Welt zu
Bayerische Rundfunk Kulturwelt, 21.12.2018 // Autor: Katharina Huebel-Gohr
Es gibt wenige deutsche Choreographen aus der freien Tanz-Szene, die auch international so bekannt sind wie die Münchnerin Anna Konjetzky. Gestern nun hatte ihr aktuelles Stück “The very moment“ Uraufführung an den Münchner Kammerspielen.
Einer der stärksten Momente ist: als die fünf Tänzer nicht tanzen. Der Still-Stand – im wahrsten Sinne des Wortes – wird zur körperlichen Extremerfahrung: Die Tänzer verharren auf den Zehenballen, eine der kleinst möglichen Standflächen des menschlichen Körpers, mit dem Ziel: sich nicht zu bewegen. Quindell Orton ist die „Profidurchhalterin“ – an die fünf Minuten dauert ihr unbewegtes Solo als sprechendes Stand-Bild, bei dem sie von brennenden Gelenken und schweißnassem Rücken berichtet und es auf amüsante Art versteht, sich Worst-Case-Szenarien auszumalen: als Blut und Knochen-Matsch zu enden oder gar das Mikrofon zu verschlucken, vor dem sie steht. Maxwell McCarthy hat die Rolle des Analytikers. Er erklärt, was anatomisch bei den Tänzern geschieht, während sie versuchen, Haltung zu bewahren – körperliche Schwerstarbeit. Wofür?
(…). Choreographin Anna Konjetzky (…) so sagt sie selbst: “Ich glaube, die arbeitet gegen sich selbst, diese Gesellschaft, man arbeitet als Mensch auch gegen sich selbst, ich glaube, dass es ganz wichtig ist, auch zu taumeln.”
Vielfalt des Scheiterns
Und um das Taumeln, Fallen, aus dem Tritt geraten, Torkeln, Kippen, Stürzen geht es dann hauptsächlich in “The very moment“. Es kommt wie eine Erlösung, es sind Bewegungen ohne Namen, aber mit interessanten Formen, ungeahnten körperlichen Winkeln, Herausforderungen an die Muskeln und Gleichgewichtsorgane. (…)
Anatomisch großartig und variantenreich Sahra Huby, die aus dem Körperexperiment wahrhaftig Tanz zu gestalten schafft, wissenschaftliches Interesse an der Bewegung und Körperflow zusammenbringt. Per Buzzer holen die Tänzer die Youtubeclips in ihren Raum – das Spiel beginnt. Sie filmen sich mit dem Smartphone. Livebild und Clips überlagern sich. Der ewig reproduzierbare Moment des Internetclips und der Tanz als Moment-Kunst wirken plötzlich zusammen. Dadurch wird der eine Moment des Scheiterns vom Missgeschick zum ästhetischen Erlebnis. Statt Schadenfreude: Bewegungsfreude. Dem Kampf gegen den eigenen Körper setzt Anna Konjetzky lustvolles Taumeln und Stolpern entgegen: “Das Loslassen, das Nicht-Effektivsein, das nicht unbedingt in eine Norm passen. Es braucht eigentlich Raum, um Umwege zu machen, um daneben zu liegen, es muss Raum geben, um zu verkacken, Raum, Mensch zu sein. “Wir sind zurück“, so die Botschaft der Tänzer. Entdeckungsreich und anregend ist “The very Moment”: ein Stück kluges, präzises Tanztheater.
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